Drei ErzÀhlungen
Im Flugzeug hĂ€tte sie Angst gehabt, denn sie war noch nie geflogen, wenn er nicht neben ihr gesessen hĂ€tte, und wenn sie dann vom Wein, den er ihr gab, nicht hĂ€tte denken wollen, daĂ das Flugzeug fallen könnte, ins Bodenlose stĂŒrzen mit ihm und mit ihr, wie sie sich aneinander halten und wie sie sich umschlingen wĂŒrden, eindringen ineinander, nicht aus Angst, nein, nur, daĂ die reiĂende Luft sie nicht auseinanderrisse, damit sie von der Hitze des Sturzes zusammengeschmolzen in ein leichtes Wesen aus Nichts und aufgefangen von einem Wind und hochgehoben ĂŒber alle BeschrĂ€nkung, ĂŒber ihre dunklen Sterne hinausfliegen könnten, weiĂ Gott wohin.
Die Welt, in der wir leben, besteht aus Geschichten von Geschichten. Frauen treffen MĂ€nner, MĂ€nner Frauen, und Menschen begegnen Menschen. VerstĂ€ndnis kommt auf, hin und wieder Zuneigung, manchmal ist von Liebe die Rede, und dann singt jeder wieder ein neues Lied. Und dazwischen blitzen auf, mal kĂŒrzer, mal lĂ€nger: Geschichten, von denen die eine nicht weniger spannend ist als die andere. Ob sie nun gut ausgehen oder nicht - ein Ende haben sie nie. Ulla BerkĂ©wicz erzĂ€hlt mit dieser - notwendigen - Offenheit von ihren Figuren, die nur im Augenblick so sind, wie sie sind, und paradoxerweise dennoch sich treu bleiben: fest und stark, dann aber sich nicht zu helfen wissend, jetzt noch hier und dann woanders. Und die Prosa von Ulla BerkĂ©wicz nimmt auf wie eine Kamera: dieses Bild, jenes. Und dazu mischt sie den Ton, die Sprache derer, die gleichermaĂen von auĂen wie von innen zusehen. ErzĂ€hlt wird also von Maria, der alten Schauspielerin mit den tausend Rollen, von Wendy aus Amerika, die mit einem Deutschen das GroĂe Erlebnis hat, und von FrĂ€ulein Doktor FauĂt, der Lehrerin, die sie alle fĂŒr verrĂŒckt halten, die ihre TrĂ€ume fĂŒr wirklich hĂ€lt - und die dadurch auch wirklich sind. Wie alles wirklich ist, an das man glaubt. Und woran glaubt man nicht, wenn man liebt und sich verliert dabei. Und sich gewinnt dabei. Wenn Maria in der Bar sitzt, um sich herum die so bedeutenden MĂ€nner, die nicht merken, daĂ es Maria ist, die Hof hĂ€lt, wenn Wendy »unbekannt verzogen« ist, um zu vergessen, was sie nicht vergessen kann, wenn das FrĂ€ulein Doktor FauĂt immer stiller wird, weil um sie herum alles so laut scheint und so ohne GefĂŒhl - dann sind das Momente von Geschichten, die von dem, was dauernd und tĂ€glich geschieht, mehr erzĂ€hlen als alles, was sich fassen, beschreiben und erklĂ€ren lĂ€Ăt. Indem Ulla BerkĂ©wicz auf Deutungsmuster verzichtet und jedes Geschehen sich gewissermaĂen selbst erzĂ€hlen lĂ€Ăt, öffnet sie die TĂŒren, hinter denen sichtbar werden: Einsamkeit, der Wunsch nach Stille, die Sehnsucht nach der Liebe.
»Nur selten riĂ ein kleiner Schmerz ein, zogen die zwei, drei Narben, deren Wunden sie nicht hatte spĂŒren wollen, und dann muĂte sie weit ins Meer hinausschwimmen. Und nur dann wollte sie sich vorstellen, an dem teilzuhaben, was so reich und heftig in der Welt sein muĂte, so anders, daĂ ihr keine Bilder davon kamen.«